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Ein literarisch "weites Feld" höchst erfolgreich beackert

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Er macht die Nacht zum Tag: Der längste Tag, der Tag der Sommersonnenwende am 21. Juni. Höhepunkt und Wendepunkt zugleich ist er, denn ab da - auch das darf man nicht verschweigen - werden die Tage wieder kürzer. Was in der eigenen Wahrnehmung überwiegt, hängt von der Perspektive ab. Wie so vieles eben. Das gilt auch für die Literatur.

Ob heiter und gereimt, bissig-satirisch, spielerisch oder nachdenklich - jede Autorin und jeder Autor muss selbst entscheiden. Kein Blick auf die Welt gleicht dem anderen, kein Weg ist vorgezeichnet, weder in der Lyrik noch der Prosa. Spätestens aber seit Günther Grass die Literatur zu einem anerkannt "weiten Feld" erklärte, nimmt das niemand mehr tragisch.

Im Gegenteil, neue Spielräume werden frei und genutzt. Die "4. LeseZeit" der Initiative "Dichten, Schreiben, Lesen" Rhein-Neckar-Kreis, bei der sieben ganz unterschiedlichen Autoren im Innenhof des Goldschmiedeateliers "Schmuck & Kunst" eine literarische Plattform geboten wurde, machte das deutlich. Von Kriegserinnerungen, witziger, spannender und auch skurriler Kurzprosa bis hin zu metaphernreicher Lyrik - erlaubt war am Dienstagabend, was gefiel.

Nicht nur den Autoren selbst, sondern auch dem Publikum in erfreulicher Zahl, das mit Applaus nicht geizte. Bei Hans-Ludwig Herders Kurzgeschichte "Der erhängte Augenblick" zum Beispiel, in dem auf witzige und sprachlich elegante Weise die Mühen eines VHS-Kursteilnehmers beschrieben werden, eine Geschichte zu jenem besagten Augenblick zu schreiben. Unerwartet abrupt die Schlusswende, in dem das Thema plötzlich auf albtraumhafte und zugleich tragische Weise Gestalt annimmt.

Aus dem in der Region bekannten Buch "Wir haben es genommen, wie es war" las die Autorin Ilse Schapowal Auszüge, die Einblick gaben in Hockenheimer Kriegszeiten und die Zeit unmittelbar danach. Kaum vorstellbar heutzutage, dass die ganze Familie in einem Waschzuber badete oder dass Eier für einen Biskuitboden 1945 nur unter größten Mühen zu bekommen waren. Nach diesem Ausflug in die Vergangenheit hatte Jancu Sincas Kriminalnovelle "Das Ereignis" das heutige Neckarufer fest im Blick. Von dort aus hört ein Bibliotheksangestellter nämlich die Schreie einer Frau, die sich später als die Tote im Fluss erweist. Interessant war hier die stringent durchgehaltene "Du"-Perspektive und eine assoziationshaft fortschreitende Erzählweise.

Sehr poetisch und politisch wurde es, als Lutz Fischer-Klimaschewski Gedichte, darunter "Zugspitze", "Mobile" oder "Zur Rettung des Politischen" sowie den kurzen Prosatext "Die Flaschenpost" vortrug. Fischer-Klimaschewski, der früher bereits mit Gitarre und selbst komponierten Songs bei der "Lese-Zeit" mitwirkte, zeigte hier eine ganz neue Facette seines Schaffens. Von Anfang an mit dabei ist auch Sabine Petzold, die mit ihrer neuesten Geschichte die Lacher auf ihrer Seite hatte. Bei "Das Jahr des Rauchmelders" blieb wahrlich kein Auge trocken.

Unterhaltend war gleichsam Helga Röder, die aus dem Fortsetzungsband "Tamara - Kriegsjahre eines jenischen Mädchens" las, in dem sie das ereignisreiche Leben Tamaras weiterverfolgt. Alles, was die kurzweiligen Episoden beleuchten, hat sich wirklich ereignet. Röder selbst hat schließlich Tamaras Geschichte vernommen. Eduard Maier, Organisator des Karlsruher "Lesefrühstücks" und Autor, beschloss den Abend mit eigenen Gedichten, darunter das feinsinnige, erotische Poem "Über die Unendlichkeit", aber auch solchen seines Dichterkollegen Pater Ossian. Dessen "Sprechtango I" und die "Rotkäppchen"-Dichtung fanden viel Applaus.

Dass der Abend gut ankam, dazu trug nicht zuletzt Rolf Thum mit seiner lockeren und kenntnisreichen Moderation bei, in der er auch einen Blick über den (literarischen) Tellerrand nicht scheute. Zu dem, was andere so machten. Da gab es beispielsweise die Musenhöfe im Mittelalter oder die literarischen Salons in ganz Europa. Wissen kann schließlich nie schaden.

Kühle Getränke bei heißem Wetter allerdings ebenso wenig, wofür das Goldschmiedeatelier "Schmuck & Kunst" sorgte. Das Bad Schönborner Klarinettenensemble "Die Blätterfresser" unter Leitung von Jutta Fischer schaffte den passenden musikalischen Rahmen. Die "4. LeseZeit" konnte also nur gelingen. Die paar Blitze am Himmel und einige Regentropfen konnten ihr nichts anhaben.

Wer bei einer der künftigen "Lese-Zeiten" mitwirken oder an den gelegentlichen Treffen zum Erfahrungsaustausch teilnehmen möchte, kann sich bei Sabine Petzold (Telefon 06205/82 15, Mail mailto:spetzold@chemieberatung.com) oder Rolf Thum (Telefon 06205/1 71 13, Mail mailto:thum@fh-mannheim.de) melden. sei aus SZ
( 27.06.2005 - 12:18)

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