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"Deutscher Fußball zurzeit in einer schweren Krise" |
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Kurt Tschenscher aus Reilingen, Jahrgang 1928, war in den 60er Jahren einer der weltbesten Fußballschiedsrichter. Er leitete Spiele der Bundesliga seit ihrer Gründung 1963 bis zu seinem Karriereende 1975. Von der FIFA wurde er für die WM 1966 in England, 1970 in Mexiko und 1974 in Deutschland nominiert. Beim Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft 1968 zwischen Italien und der Sowjetunion stand es nach 120 Minuten 0:0. Statt des heute üblichen Elfmeterschießens musste ein Münzwurf Tschenschers die Entscheidung bringen: Italien zog glücklich ins Finale ein. Bei der Weltmeisterschaft 1970 leitete Kurt Tschenscher das Eröffnungsspiel zwischen Gastgeber Mexiko und der Sowjetunion im Azteken-Stadion vor 112 000 Zuschauern. In dieser Partie zückte er die erste Gelbe Karte der Fußballgeschichte: Die roten und Gelben Kartons waren erstmals zur WM 1970 eingeführt worden. Eine seiner schwierigsten Aufgaben hatte Tschenscher bei der WM 1974 in Deutschland zu bewältigen, als er das entscheidende Spiel um den Einzug ins Finale zwischen den Niederlanden und Brasilien leitete. Die Holländer gewannen in Dortmund mit 2:0 und trafen im Finale bekanntlich auf Deutschland. Bereits ab 1958 leitete Kurt Tschenscher als FIFA-Schiedsrichter internationale Spiele mit Mannschaften wie Roter Stern Belgrad und Grashoppers Zürich, in den 60er Jahren pfiff er viele nationale und hochkarätige internationale Partien mit Fußball-Stars wie Pelé, Ferenc Puskas, Bobby Moore, Johan Cruyff, Uwe Seeler, Dino Zoff und Franz Beckenbauer. Nach Pelés Abschiedsspiel 1971 im Maracana-Stadion von Rio de Janeiro überreichte ihm der brasilianische Superstar sein Trikot. Unvergessen auch das legendäre Pokalendspiel 1973 zwischen dem 1. FC Köln und Borussia Mönchengladbach, bei dem sich Günter Netzer in der Verlängerung selbst einwechselte und den 2:1-Siegtreffer erzielte. Am 31. März wird die FIFA in Zürich die 30 Endrunden-Schiedsrichter für die Weltmeisterschaft in Deutschland nominieren. Dr. Markus Merk und Herbert Fandel gehören zu den 44 WM-Kandidaten. Wir trafen den Reilinger Kurt Tschenscher und sprachen mit ihm über das heutige Schiedsrichterwesen, die Nationalmannschaft und die Weltmeisterschaft im eigenen Land. Herr Tschenscher, Ihre Schiedsrichter-Kollegen Fandel und Merk gehören zum Kreis der WM-Kandidaten. Was halten Sie von den beiden? KURT TSCHENSCHER: Die Kameraden Herbert Fandel und Dr. Markus Merk sind beide großartige Schiedsrichter, ich halte sie für unsere beiden besten Unparteiischen im nationalen wie im internationalen Bereich und hoffe, dass beide bei der Weltmeisterschaft in Deutschland dabei sind. Wir hatten 1974 bei der WM in Deutschland, meiner dritten und letzten Weltmeisterschaft, sogar drei deutsche Schiedsrichter gemeldet. Da wird es der FIFA doch möglich sein, bei einer Weltmeisterschaft im eigenen Land unsere beiden besten Schiedsrichter zu nominieren. Was hat sich im Schiedsrichterwesen heute gegenüber der damaligen Zeit verändert? TSCHENSCHER: Das Schiedsrichterwesen hat sich bedeutend verändert. Es ist vor allem durch eine veränderte Spielweise, auf die sich die Schiedsrichter einstellen mussten, vieles anders geworden. Und zwar in der Aus- und Fortbildung. Nicht dass das Spiel schneller geworden ist, sondern die Spielweise als solche hat sich geändert. Auch das Regelwerk wurde leicht modifiziert. Man sollte am Regelwerk allerdings nicht so viel rummachen und eigentlich alles so belassen, wie es ist. Stehen Unparteiische heute mehr unter Druck? TSCHENSCHER: Heute wird von den Schiedsrichtern viel mehr verlangt, weil sie in der Öffentlichkeit einem viel größeren Druck ausgesetzt sind als zu meiner Zeit. Auch wir waren ständig unter Druck, aber lange nicht so wie es heute durch das Fernsehen geschieht. Damals übertrugen zwei Kameras den Fußball in die Wohnzimmer, heute sind es 20 bis 30 Kameras pro Spiel, die jeden Spielzug und jede Bewegung von Schiedsrichtern und Spielern festhalten. Wo steht die deutsche Nationalmannschaft heute? TSCHENSCHER: Der deutsche Fußball ist zurzeit in einer schweren Krise, vor allem durch die Diskussionen um Klinsmann, Beckenbauer und andere. Das hätte man alles nicht so in die Öffentlichkeit tragen sollen, denn es hat sich ja im Nachhinein herausgestellt, warum Klinsmann zum Beispiel nach dem Italien-Länderspiel nach Amerika zurückgeflogen ist. Sein Fehler war es vielleicht, dass er es nicht zunächst dem DFB-Präsidium vorgetragen hat. Dann hätte es nicht so viel Unruhe gegeben. Ich kann natürlich auch Franz Beckenbauer verstehen, der sagt: Die WM in Deutschland ist mein Werk, das wird es in den nächsten 50 Jahren nicht mehr geben. Was ist bei der Weltmeisterschaft für das Team von Jürgen Klinsmann drin? TSCHENSCHER: Man sollte nicht alles noch komplizierter machen. Wenn zum Beispiel alle Beteiligten bei der Bundeskanzlerin antreten, um ein klärendes Gespräch zu führen, halte ich das für übertrieben. Langsam sollte Ruhe einkehren, damit sich Trainerstab und Mannschaft gezielt auf unsere Weltmeisterschaft vorbereiten können. Und ich habe noch den Glauben an unsere Mannschaft, vor allem, dass dem deutschen Team mehr gelingen wird, als ihm so manche zutrauen. Wie groß ist der Schaden, den der Schiedsrichter-Skandal dem deutschen Fußball zugefügt hat? TSCHENSCHER: Der Schiedsrichter-Skandal hat mich persönlich sehr getroffen. Ich konnte es erst gar nicht glauben, denn ich war damals bei der Halbzeit-Tragung der Bundesliga-Schiedsrichter, bei der auch Kamerad Hoyzer noch dabei war. Zwei Tage später hörte ich zu Hause von Spielmanipulationen. Das war natürlich ein schwerer Schlag für das Schiedsrichterwesen, den unsere Zunft noch nicht verwunden hat. Heute, wo es um so viel Geld geht, kann man eben nichts mehr ausschließen. Wie unter Politikern und Sportlern gibt es auch unter den Schiedsrichtern schwarze Schafe. Volker Widdrat aus SZ, Foto Werner Klevenz Unser Bild entstand 1998 anlässlich des 90jährigen Bestehens des SC 08 Reilingen. Kurt Tschenscher wurde von Hans Kneis (rechts) und Berhold Schuppel interviewt. |
( 27.03.2006 - 14:14) |
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