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Raupen in die Baumkronen unterwegs |
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Helikopter-Landeplatz unweit der Mercedes-Tribüne am Hockenheimring: Um 9.30 Uhr endlich steigt der mit 500 Litern Spritzbrühe betankte Hubschrauber auf. Pilot Albert Birgmeier absolviert an diesem Tag seinen ersten Flug zur Bekämpfung eines ganz besonderen Schädlings. Thaumetopoea processionea Linnaeus oder Eichenprozessionsspinner heißt der Übeltäter, der eine rund 20 Hektar große Waldfläche bei Hockenheim, Reilingen, Schwetzingen und Oftersheim mit einem Schwerpunkt der Wälder um den Hockenheimring befallen hat. Die Schmetterlingsart, die in den meisten europäischen Ländern beheimatet ist, hat sich durch das trockene und warme Wetter der vergangenen Jahre sowie die milden Winter auch bei uns stark vermehrt. Eine solche Aktion erfordert einen großen organisatorischen und logistischen Aufwand und muss mit Forstverwaltung, Landwirtschaft, Verkehrsbehörden und Polizei abgestimmt werden. Die Abteilung Waldschutz der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg koordiniert den Einsatz. Waldwege und Forststraßen rund um den Hockenheimring sind gesperrt, die Autobahnpolizei verlangsamt den Verkehr auf der A6 und macht die Raststätte "Am Hockenheimring" dicht, um Fußgänger und Autofahrer vor den Ästen zu schützen, die durch Rotorbewegungen herunter fallen könnten. Und das Wetter muss mitspielen: Das Sprühmittel entfaltet nämlich seine Wirkung nur, wenn die Witterung nach der Ausbringung noch einige Stunden trocken bleibt. Bei nassen Blättern kann das Mittel nicht haften, und bei Regen wird es gleich abgespült und damit wirkungslos. "Für die Forstwirtschaft ist die Schädigung durch den Eichenprozessionsspinner nur als gering einzuschätzen, da es selten zum Kahlfraß ganzer Bestände kommt", sagt Sebastian Eick, der Leiter des Forstbezirks Rheintal. Weitaus größer sei die gesundheitlich-hygienische Bedeutung. Denn die Raupen der in den Nachtstunden fliegenden Falter haben es in sich. Das in ihren Härchen enthaltene Nesselgift löst bei Menschen eine Überempfindlichkeitsreaktion aus, die vom Juckreiz über Quaddeln oder großflächige schmerzhafte Hautrötungen bis hin zum allergischen Schock reichen kann. Dabei muss man mit den Raupen selbst gar nicht in Kontakt kommen. Die aggressiven Raupen-Haare werden durch Wind hunderte Meter weit getragen. Auch von den mit Gifthaaren versetzten Häutungsresten der Raupen geht noch bis zu einem Jahr eine allergene Gefahr aus. Ihren Namen verdanken die Tiere ihrer Gewohnheit, nachts aus ihren Nestern hintereinander in die Baumkrone zu "prozessieren", um dort Blätter zu fressen. Morgens kehren sie dann wieder in einer Prozession in ihre Behausung zurück. Die Falter treten im August und September auf. Die Eier werden an der Baumrinde in Form von Platten aus jeweils 30 bis 200 Eiern abgelegt. Im April und Mai schlüpfen die Larven, im Juli und August erfolgt die Verpuppung. Die Insekten verlassen das Nest als unscheinbare, graubraune Motten. Der Helikopter ist jetzt mit dem Pflanzenschutzmittel betankt, die Spritzdüsen werden ein letztes Mal überprüft. Norbert Krotz, der stellvertretende Leiter des Forstbezirksamtes, telefoniert mit der Autobahnpolizei und signalisiert, dass es gleich losgeht. 500 Liter des biologischen Insektizids, 50 Liter pro Hektar, wird Pilot Birgmeier gleich bei seinem ersten Flug versprühen. Vier bis fünf Flüge seien heute über dem Waldgebiet rund um den Hockenheimring noch nötig. Nachmittags fliegt er weiter in die Pfalz, um Waldflächen rund um Herxheim aus der Luft zu bearbeiten. "Wir haben zurzeit in Baden-Württemberg drei Hubschrauber zur Bekämpfung des Eichenprozessionsspinners im Einsatz", sagt Armin Jakob von der Forstdirektion Freiburg, der die Einsätze im Land koordiniert. Waldgebiete im Enzkreis, im Stuttgarter Umland und im Hohenlohischen würden zeitgleich mit den Maßnahmen in der Kurpfalz abgewickelt. Letztmals mit dem Hubschrauber bekämpft wurden die Raupen, die sich in so genannten Gespinstnestern sammeln, bei Hockenheim, Reilingen und Walldorf im Mai 1999. Die wirksame Substanz des ausgebrachten Pflanzenschutzmittels, das mit dem Helikopter im Tiefflug über die Baumbestände versprüht wird, ist das Bacillus thuringiensis, das seit über 30 Jahren in Deutschland eingesetzt wird. "Es schädigt keine anderen Laub fressenden Insektenlarven und keine Schmetterlinge und hat auch keine schädliche Wirkung auf Menschen, Säugetiere, Vögel und Fische", betont Forstbezirksleiter Eick. Für die Raupen des Eichenprozessionsspinners jedoch entfaltet es eine fatale Wirkung: Nach dem Fressen bekommen die eine tödliche Darmerkrankung und sofort erfolgt ein Fraßstopp. Volker Widdrat aus SZ |
( 08.05.2006 - 14:50) |
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